11 April 2014

Die Krim vom Mittelmeer

Es ist immer wieder unglaublich aufregend zu beobachten wie groß das Gespür Israels für das richtige Timing ist. Die westliche Weltgemeinschaft muss noch Russland dafür züchtigen, weil es einen Teil Russlands, den ein kommunistischer ukrainischstämmiger Generalsekretär vor genau 60 Jahren an seine Heimat-Republik angegliedert hatte, unter illegaler Zustimmung von ungefähr 90% der dortigen Wohnbevölkerung völkerrechtswidrig der russischen Föderation angegliedert wurde. (Dies ist natürlich politisch nicht korrekt und eine falsche Meinung, die man im Westen sicherlich haben darf – theoretisch) Klarer Weise brechen die Russen Völkerrecht – es ist auch sicherlich völkerrechtlich geregelt, dass man in der Ukraine ukrainisch als alleinige Amtssprache verordnen kann und dass man das Selbstbestimmungsrecht der Völker auf der Ebene des ukrainischen Staates enden lässt.

Leider muss man miterleben wie die Psychologie der Massen und deren populistischen Vertreter hier den Ton angibt und es offenbar eher um alte Erniedrigungen, aufgestaute Wut und dazugehörende Rachegefühle der ehemaligen, unter der sowjetischen Hegemonie gefangenen Völker handelt. Alle die noch Rechnungen mit den Russen offen haben, laufen jetzt herbei mit ihren Ölkannen um fleißig das Feuer zu gießen, das seit 20 Jahren nicht richtig entzündet werden konnte. Jetzt endlich kann man seiner alten Angst vor der russischen Übermacht politische und militärische Taten entgegensetzen. Russlandbashing als verspätete Therapie und Vergangenheitsbewältigung der ehemaligen Ostblockstaaten und Sowjetrepubliken. Ohne die geschichtlichen Wurzeln wirken einige der „Bestrafungen“ Russlands mehr als verkrampft und aufgesetzt. Die Menschen auf der Krim – die interessieren hier schon seit langem nicht mehr.

Auch in den USA sieht man Ansätze dieser psychologischen Verarbeitungsform indem man religiösen Regimen durch national-fundamentalistische obrigkeitsorientierte Organisationen zu begegnen sucht oder Angriffe durch Passagiermaschinen mittels revanchistischer Angriffe unbemannter Drohnenflugzeuge rächt. Oder das Trauma der iranischen US-Geiselnahme durch Entführungen und Geheimgefängnisse zu verarbeiten sucht.

Also, genau in dem Moment, wo die westliche Welt ihre unglaubliche Prinzipientreue und standhafte Einhaltung des Völkerrechts ohne wenn und aber zum Besten gibt, da findet die israelische Regierung den perfekten Moment für „Sanktionen“ gegen von ihr seit über 40 Jahren annektierte Gebiete. Wobei man muss ja schon auch den Unbill der Israelis verstehen, da die Annektierten sich nicht wie Annektierte verhalten und einfach so mir nichts dir nichts Anträge bei der UNO stellen. Das „Palästinenserproblem“, also das Problem der Palästinenser von ihrem Land, in einem seltenen Kleinod der Kolonialherrschaftlichkeiten im Zusammenspiel mit Problemverlagerungsmethoden der westlichen Staatengemeinschaften, vertrieben und vollkommen ihrer Selbstbestimmung beraubt zu sein, dümpelt ja seit Langem unauffällig vor den Völkerrechtlern so dahin.

Der Aufschrei der westlichen Völkerrechtskreuzritter wird unglaublich sein und Israel sofort aus der UEFA ausgeschlossen werden – oder wenigstens sein Stimmrecht verlieren. Ganz sicher. Der Gazastreifen ist zu 100% abgeriegelt und damit zu 100% von der Versorgung mit Gas und allem anderen von Israel abhängig. Aber Israel würde doch nie Millionen von Menschen von jeder Versorgung abschneiden, die würden nie das Geld der Palästinenser „einbehalten“ oder Gasquellen in annektierten Gebieten alleine ausschlachten. Nein, Israel verteidigt nur seine Menschen gegen die palästinensische Aggression. Das steht ja im Völkerrecht, dass man dafür eines der dichtes besiedelten Gebiete auf diesem Erdball bombardieren darf. Und vorher noch eine Mauer um das Getto gebaut, damit auch keiner entkommt, diese radikal-palästinensischen Terroristen. Auch irgendwie der im Maßstab 1:1 nachgebaute Vergangenheitsbewältigungspark für Überlebende des Warschauer Gettos. Irgendwie geht es sogar in der großen Politik immer auch um die psychologieschen Komponenten der beteiligten Völker. Ohne deren Kenntnis schaut das Verhalten einiger sehr eigenartig aus. Die Frage, die endlich einmal gelöst gehört ist ob es so etwas wie politische Sippenhaftung über Generationen hinweg gibt? Müssen sich Deutsche, Russen und die zum Handkuss gekommenen Palästinenser im Hier und Jetzt für vergangene Taten und Handlungen nicht mehr existierender Generationen als Prügelknaben für das erlittene Unrecht anderer Völker zur Verfügung stellen? Ist Rache und Vergeltung eine Dimension des Völkerrechts?

Die Ukrainer haben noch jede Menge offener Rechnungen mit den ehemaligen Herrn aus Russland, so wie die Polen, Balten, Bulgaren, Ungarn, Tschechen, Georgier, Moldavier usw. Den, in den befreiten Staaten zurückgebliebenen Restbestände des ehemaligen Mehrheitsvolkes geht es so wie einem kleinen goscherten Buben am Schulhof der immer seinen großen Bruder als Schutzmacht hatte und dieser plötzlich in die nächste Schulstufe vorrückte. Jetzt hilft ihm nicht einmal eine kleinlautere Strategie gegen das revanchistische Auftreten der neuen Schulhofmachteliten.

Bei Israel kommt es wohl zum Tragen, dass es Rachegefühle gegenüber allen denjenigen, die die Juden unterdrückt und ermordet haben nie wirklich ausleben konnte. Der Gazastreifen hat irgendetwas von einer Projektion was Israel viel lieber mit Deutschen, Österreichern, Ungarn und all den anderen europäischen Antisemiten der damaligen Zeit machen würde. Oder noch geschichtsträchtiger mit den Persern. Gleichzeitig bestätigt sich wieder einmal das Problem des Konzeptes Rache, dass es im Endeffekt beide Seiten zerstört. Die Weltgemeinschaft steht auch etwas unschlüssig herum im Falle Israels, da alle das prinzipielle Bedürfnis nach, nun möglicher Selbstverteidigung der Israelis versteht, jedoch trifft es hierbei eben um Jahre zu spät auch noch die Falschen. Eine geduldete Ersatzhandlung als völkerrechtliche Dimension?

Dies würde jedenfalls erklären warum man Russland für weniger prügelt wo man bei Israel einfach wegschaut. Wäre da nicht das peinliche Gefühl der Israelis für Timing.

Eines wird jedenfalls immer wieder gerne wohlwollend übersehen. Die USA nehmen sich als einziges Land der Welt auf Grund ihres Weltführungsanspruches heraus systematisch nationales Recht über internationale Übereinkünfte und Rechtsvereinbarungen zu stellen. Das ist das allseits anerkannte weltweite Gutsherrenprinzip der Amerikaner. Britannia rules the waves und Amerika die Welt.


DI Mathias Gruböck                                                          Baden, 11.04.2014
Unternehmens- und Organisationsberater

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