01 März 2022

Spieletheoretische Überlegungen

https://www.youtube.com/watch?v=rPKqsczmFF0

Sehr geehrter Herr Professor Dr. Rieck,

ich habe Ihr oben verlinktes Video gesehen, was bei mir verschiedene Überlegungen ausgelöst hat. Wenn ein Spieltheorie oder ein Modell eine falsche Prognose erzielt, dann sind meines Erachtens nach nicht die Spieler Schuld sondern es waren wohl Modellierungsparameter die nicht genügend Berücksichtigung fanden.

Mögliche Modellierungsfehler:

1.) Falscher oder nicht vollständiger Spielekontext

2.) Falsche oder nicht berücksichtigte Spieler

3.) Falsche Annahme oder Einschätzung der gespielten Runden

4.) Falsche oder nicht vollständige Einschätzung der Gewinn/Verlustchancen aller Spieler

Eine nicht ganz hinreichende Erklärung des Versagens der eigenen Modelle ist es eine Gruppe oder gar einen einzigen Spieler als Verrückten, Dämonen, Faschisten, Kommunisten, das Böse an sich usw. zu erklären, weil dann bräuchte man die Spieletheroie gar nicht sondern könnte gleich die einzelnen Pressestellen der jeweiligen Spielegruppen abfragen. Speziell wenn Abwertung und „Containment“-Politik respektive Spielstrategien bei einzelnen Spielern seit Jahr und Tag zum Grundsatz des einen, spielbestimmenden Spielers gehört.

Welches Spiel wird gespielt? Was ist der Kontext der einzelnen Angriffskriege seit dem Ende des kalten Krieges?

Der gemeinsame Nenner aller Kriege seit dem Beginn des „Krieges gegen den Terror“ hatten einen gemeinsamen Nenner: Erbeutung und den Transport von fossilen Energien. Wenn man die Liste der größten erdölproduzierenden Länder und die Länder die seit 9/11 angegriffen wurden oder zumindest einem Regimechange/Putsch erleiden mussten, dann kommt es hier zu einer nahezu eineindeutigen Überdeckung. Wenn man noch Transitländer mit strategischen Pipelineprojekten hinzurechnet, hat man alle Kriegsgebiete der letzten 20 Jahre zu 100%. Das einzige Land mit großer Erdöl und Erdgasproduktion, das nicht angegriffen wurde sind die USA, die wiederum waren zu 100% an allen Angriffen oder Putschversuchen auf andere Länder direkt beteiligt. Hieraus könnte man das Spieltheorem oder Muster ablesen, dass die USA sehr viel investieren um den Weltmarkt für Öl und Gas zu kontrollieren. Es wäre auch eine sehr sinnvolle Strategie wenn man das Ziel, wie die USA hat, über die gesamte Welt zu herrschen. (Führungsmacht der freien Welt, einzige Supermacht oder so ähnlich in der Selbstbeschreibung) Aus Sicht der US-Spieler käme es hier zu einer Detailstrategie für Europa, dieses vom ressourcenreichen Russland zu trennen, nachdem die finanzwirtschaftliche Übernahme der Ressourcen scheiterte (Chordokowski-Verhaftung 2003/Rede Putin im Deutschen Bundestag 2003)

Über die folgenden fast 20 Jahre wurde eine zunehmende Hegemonie über die Energieversorgung Europas durchgeführt, der sich zum Beispiel in Spielschritten wie den im NDAA von 2020 eingebetteten Spielzug „Protecting Europe`s Energy Security Act von 2019 darstellt. Die Verknappung von Transportkapazitäten (US-Putsch in der Ukraine, Nordstream 2) kann an sich nur ein Ziel haben, den Preis zu steigern und die Versorgungssicherheit zu reduzieren. Hinzu kommt, dass die USA ihre Spielposition durch Stationierung von militärischen Kräften in unterschiedlichsten Konstellationen (Bilateral, willige Staatengruppen, NATO-Bündnis) und unterschiedlichsten Weisen unterstreicht. Zuletzt wurde der Beschluss des irakischen Parlaments für den Abzug der US-Besatzungstruppen nicht einmal ignoriert. Das heißt die USA definieren offenbar die Spielregeln die gelten und eroberte Ressourcen werden durch militärische Macht geschützt. Alle, den US-Ansprüchen zuwiderlaufenden Interessen und Projekte stellen offenbar einen Angriff auf die USA dar (vergl. US-Pipelinesanktionen im Rahmen des US National Defense Act`s). In der Logik des US-Spielteilnehmers (oder in der Eigendefinition: Spielleiter) sind also alle eigenen Angriffskriege und Putschs ein völkerrechtlich gedeckter Akt der Selbstverteidigung (der Position des Weltherrschers) und jeder Widerstand dagegen ein Angriff auf die Position der USA, was wiederum einen Verstoß gegen das Völkerrecht darstellt.

In den Augen der USA können sie bei der Strategie die Europäer und die Russen aufeinander zu hetzen nur gewinnen. (Steigerung der Waffenexporte, mehr militärischer Einfluss, Kontrolle über den eurpäischen Energiesektor (Abschuß von Undingern wie der Energiewende und dem Ausstieg aus der Nuklearenergie), Ausdehnung der Kontrolle über die EU und den EURO) – Gleichzeitig hatten die Russen kaum eine Chance mitzuspielen, da die USA permanent die bisher erzielten Spielgewinne (Abrüstungsverträge, G8-Einbindung, Vertrauensbildende Maßnahmen, OSZE, UNO-Sicherheitsrat, Nichterweiternugszusagen, usw.) ersatzlos strichen und über Angebote der Russen nicht einmal redeten – mehr noch, die Russen wurden ausgelacht, verspottet und verhöhnt wenn sie versuchten ihre Position darzulegen oder gar zu halten. Analogien hierzu findet man in Deutschland beim Thema der Wiedervereinigung, wo der Osten noch verspottet und abgewertet wird wenn er sich eher erobert fühlt als auf gleicher Höhe wiedervereinigt.

Nachdem mit Russland niemand reden wollte oder im Falle der Europäer, diese auch nichts zu sagen haben ohne die Erlaubnis der Führungsmacht, begann Russland seine Wahrnehmung des Spieles sehr transparent und offen (jedenfalls im Internet) darzulegen. Da kann man dann in der Spielanalyse ein zunehmendes Auseinanderklaffen der Spielzüge und deren öffentlichen Darstellung feststellen – aber das vor allem im Westen. Speziell in Europa hat man das Gefühl, dass es die größte Gefahr darstellt wenn die Russen ihre Position in den Medien darstellen können, wo wir ja doch alle spätestens seit Corona wissen, dass unsere gefilterten Leitmedien die einzig richtigen Fakten und alle Wahrheit der Welt haben. Spieletheoretisch ein eher schräger Ansatz. Dann kommt es zu solchen spielerischen Lizitationen: auf westlicher Seite sagen thinktank-nahe Meinungsbildner, die Russen sind vollkommen neurotisch wenn sie sich vom Westen angegriffen fühlen – gleichzeitig sieht man einen russischen General, der referiert um wieviel die US/NATO-Übungen an den russischen Grenzen zugenommen haben, bei denen die Kampfbomber das Ausklinken von taktischen Atombomben üben und wie britische Kampfschiffe im Schwarzmeer in russische Hoheitsgebiete eindringen um Verteidigungsmaßnahmen zu aktivieren, die von begleitenden Überwachungsflugzeugen aufgezeichnet werden.

Jetzt sagen dann wieder alle Spielkommentatoren sofort, ah geh, die sollen sich nicht so aufregen, das ist doch lustig gemeint (so wie der Kapitän des britischen Kampfschiffs). Also schauen wir mal nach (spieletheoretisch): Hat die USA schon einmal einen Angriffskrieg wegen Ressourcenerbeutung gemacht? Haben sie schon einmal Länder destabilisiert oder durch eine Putsch einen Regimechange hervorgerufen? Geben die pragmatischen US-Amerikaner 700 Milliarden Dollar jedes Jahr fürs Militär aus, damit sie es dann nicht nutzen – oder müssen die jedes Jahr zumindest 700 Milliarden wieder reinspielen? Wenn die USA in Polen und Rumänien (und, wie von den Russen befürchtet bald auch in der Ukraine) Raketensystem aufbauen, die angeblich gegen die Bedrohung aus dem Iran gedacht sind, stimmt das auch wirklich? Wenn diese Raketensysteme wirklich nur defensiven Charakter haben warum kündigen die USA dann einseitig den Mittelstreckenraketenvertrag INF und verhandeln nicht einmal über ein Moratorium mit den Russen? Warum werden dann die Raketenbasen in Rumänien und Polen für die neuen atomaren Mittelstreckenraketen tragfähig gemacht? Ist Putin wirklich ein durchgeknallter Hosenscheißer weil Atomraketen der USA in 7 bis 15 Minuten in Moskau einschlagen können (und in St. Petersburg in einem Wimpernschlag)? Warum fragt Putin:“ Warum denkt der Westen wir sind Vollkoffer?“? Warum bekommt man das Gefühl, die einzigen Vollkoffer sind die Europäer, die permanent Kriege für die Vorherrschaft der USA (Dollar) führen und sich zur Not auch noch das eigene Bein weghacken – besonders die Deutschen? Sind die Deutschen wirklich so bescheuert oder einfach nur besetzt?

Ihr Modell hatte nur ein kleines Manko: die letzten zwei Runden, die an die Russen gingen waren immer damit verbunden, dass sie nicht nach den Regeln des Westens spielten (Krim, Syrien) Wahrscheinlich gehen noch ein paar Runden an die Russen (Venezuela, Guatemala) da sich die westlichen Eliten feiern, weil sie die ausgestreckte Hand der Russen nach der Wende entgegen aller Versprechen ausgeschalgen haben und die Russen jetzt zum eigenen Schaden Richtung China treiben. Den einzigen Irrsinn sehe ich im Westen, weil ich speziell in Europa hier überhaupt keinerlei Gewinnchancen sehe – eher ein Lose – lose und weil sich die Europäer noch in Selbstzerfleischung zu übertreffen suchen. Allen voran die Deutschen, die hier schon einige Übung über die letzten Jahre aufgebaut haben. Was wollen die Europäer? Spielen die überhaupt noch mit? Oder geht es nur noch um die Ausbeutung der letzten verbliebenen Assets für ausländische Eliten, zu denen sich unsere Führer dann so gerne im Ausgedinge gesellen (oder gar immer schon Teil dieser Spiel-Systeme waren)

Die Reaktion vieler im Westen ist derart irrational, was wahrscheinlich auf die jahrzehntelange Selbstwahrnehmungspropaganda des Westens zurückzuführen ist. Wer nur in einfachen Chancen denkt (Gut/Böse) und sich permanent in seiner Wahrnehmung manipulieren lässt, darf sich nicht wundern wenn er beim Pokern mit den Großen oder den ins Eck gedrängten sein ganzes Geld und noch die Hosen dazu verliert.

Ihr Modell hatte nur einen Fehler: Sie haben die russische Position falsch eingeschätzt – die gehen all in! Weil die haben aus dem Schicksal der Indianer in den USA gelernt und nichts zu verlieren.

DI Mathias Gruböck, Analyst                                                                                Torrox, 01.03.2022