https://www.youtube.com/watch?v=rPKqsczmFF0
Sehr geehrter Herr Professor Dr. Rieck,
ich habe Ihr oben verlinktes Video gesehen, was bei mir verschiedene
Überlegungen ausgelöst hat. Wenn ein Spieltheorie oder ein Modell
eine falsche Prognose erzielt, dann sind meines Erachtens nach nicht
die Spieler Schuld sondern es waren wohl Modellierungsparameter die
nicht genügend Berücksichtigung fanden.
Mögliche Modellierungsfehler:
1.) Falscher oder nicht vollständiger Spielekontext
2.) Falsche oder nicht berücksichtigte Spieler
3.) Falsche Annahme oder Einschätzung der gespielten Runden
4.) Falsche oder nicht vollständige Einschätzung der
Gewinn/Verlustchancen aller Spieler
Eine nicht ganz hinreichende Erklärung des Versagens der eigenen
Modelle ist es eine Gruppe oder gar einen einzigen Spieler als
Verrückten, Dämonen, Faschisten, Kommunisten, das Böse an sich
usw. zu erklären, weil dann bräuchte man die Spieletheroie gar
nicht sondern könnte gleich die einzelnen Pressestellen der
jeweiligen Spielegruppen abfragen. Speziell wenn Abwertung und
„Containment“-Politik respektive Spielstrategien bei einzelnen
Spielern seit Jahr und Tag zum Grundsatz des einen, spielbestimmenden
Spielers gehört.
Welches Spiel wird gespielt? Was ist der Kontext der einzelnen
Angriffskriege seit dem Ende des kalten Krieges?
Der gemeinsame Nenner aller Kriege
seit dem Beginn des „Krieges gegen den Terror“ hatten einen
gemeinsamen Nenner: Erbeutung und den Transport von fossilen
Energien. Wenn man die Liste der größten erdölproduzierenden
Länder und die Länder die seit 9/11 angegriffen wurden oder
zumindest einem Regimechange/Putsch erleiden mussten, dann kommt es
hier zu einer nahezu eineindeutigen Überdeckung. Wenn man noch
Transitländer mit strategischen Pipelineprojekten hinzurechnet, hat
man alle Kriegsgebiete der letzten 20 Jahre zu 100%. Das einzige Land
mit großer Erdöl und Erdgasproduktion, das nicht angegriffen wurde
sind die USA, die wiederum waren zu 100% an allen Angriffen oder
Putschversuchen auf andere Länder direkt beteiligt. Hieraus könnte
man das Spieltheorem oder Muster ablesen, dass die USA sehr viel
investieren um den Weltmarkt für Öl und Gas zu kontrollieren. Es
wäre auch eine sehr sinnvolle Strategie wenn man das Ziel, wie die
USA hat, über die gesamte Welt zu herrschen. (Führungsmacht der
freien Welt, einzige Supermacht oder so ähnlich in der
Selbstbeschreibung) Aus Sicht der US-Spieler käme es hier zu einer
Detailstrategie für Europa, dieses vom ressourcenreichen Russland zu
trennen, nachdem die finanzwirtschaftliche Übernahme der Ressourcen
scheiterte (Chordokowski-Verhaftung 2003/Rede Putin im Deutschen
Bundestag 2003)
Über die folgenden fast 20 Jahre
wurde eine zunehmende Hegemonie über die Energieversorgung Europas
durchgeführt, der sich zum Beispiel in Spielschritten wie den im
NDAA von 2020 eingebetteten Spielzug „Protecting Europe`s Energy
Security Act von 2019 darstellt. Die Verknappung von
Transportkapazitäten (US-Putsch in der Ukraine, Nordstream 2) kann
an sich nur ein Ziel haben, den Preis zu steigern und die
Versorgungssicherheit zu reduzieren. Hinzu kommt, dass die USA ihre
Spielposition durch Stationierung von militärischen Kräften in
unterschiedlichsten Konstellationen (Bilateral, willige
Staatengruppen, NATO-Bündnis) und unterschiedlichsten Weisen
unterstreicht. Zuletzt wurde der Beschluss des irakischen Parlaments
für den Abzug der US-Besatzungstruppen nicht einmal ignoriert. Das
heißt die USA definieren offenbar die Spielregeln die gelten und
eroberte Ressourcen werden durch militärische Macht geschützt.
Alle, den US-Ansprüchen zuwiderlaufenden Interessen und Projekte
stellen offenbar einen Angriff auf die USA dar (vergl.
US-Pipelinesanktionen im Rahmen des US National Defense Act`s). In
der Logik des US-Spielteilnehmers (oder in der Eigendefinition:
Spielleiter) sind also alle eigenen Angriffskriege und Putschs ein
völkerrechtlich gedeckter Akt der Selbstverteidigung (der Position
des Weltherrschers) und jeder Widerstand dagegen ein Angriff auf die
Position der USA, was wiederum einen Verstoß gegen das Völkerrecht
darstellt.
In den Augen der USA können sie
bei der Strategie die Europäer und die Russen aufeinander zu hetzen
nur gewinnen. (Steigerung der Waffenexporte, mehr militärischer
Einfluss, Kontrolle über den eurpäischen Energiesektor (Abschuß
von Undingern wie der Energiewende und dem Ausstieg aus der
Nuklearenergie), Ausdehnung der Kontrolle über die EU und den EURO)
– Gleichzeitig hatten die Russen kaum eine Chance mitzuspielen, da
die USA permanent die bisher erzielten Spielgewinne
(Abrüstungsverträge, G8-Einbindung, Vertrauensbildende Maßnahmen,
OSZE, UNO-Sicherheitsrat, Nichterweiternugszusagen, usw.) ersatzlos
strichen und über Angebote der Russen nicht einmal redeten – mehr
noch, die Russen wurden ausgelacht, verspottet und verhöhnt wenn sie
versuchten ihre Position darzulegen oder gar zu halten. Analogien
hierzu findet man in Deutschland beim Thema der Wiedervereinigung, wo
der Osten noch verspottet und abgewertet wird wenn er sich eher
erobert fühlt als auf gleicher Höhe wiedervereinigt.
Nachdem mit Russland niemand reden
wollte oder im Falle der Europäer, diese auch nichts zu sagen haben
ohne die Erlaubnis der Führungsmacht, begann Russland seine
Wahrnehmung des Spieles sehr transparent und offen (jedenfalls im
Internet) darzulegen. Da kann man dann in der Spielanalyse ein
zunehmendes Auseinanderklaffen der Spielzüge und deren öffentlichen
Darstellung feststellen – aber das vor allem im Westen. Speziell in
Europa hat man das Gefühl, dass es die größte Gefahr darstellt
wenn die Russen ihre Position in den Medien darstellen können, wo
wir ja doch alle spätestens seit Corona wissen, dass unsere
gefilterten Leitmedien die einzig richtigen Fakten und alle Wahrheit
der Welt haben. Spieletheoretisch ein eher schräger Ansatz. Dann
kommt es zu solchen spielerischen Lizitationen: auf westlicher Seite
sagen thinktank-nahe Meinungsbildner, die Russen sind vollkommen
neurotisch wenn sie sich vom Westen angegriffen fühlen –
gleichzeitig sieht man einen russischen General, der referiert um
wieviel die US/NATO-Übungen an den russischen Grenzen zugenommen
haben, bei denen die Kampfbomber das Ausklinken von taktischen
Atombomben üben und wie britische Kampfschiffe im Schwarzmeer in
russische Hoheitsgebiete eindringen um Verteidigungsmaßnahmen zu
aktivieren, die von begleitenden Überwachungsflugzeugen
aufgezeichnet werden.
Jetzt sagen dann wieder alle
Spielkommentatoren sofort, ah geh, die sollen sich nicht so aufregen,
das ist doch lustig gemeint (so wie der Kapitän des britischen
Kampfschiffs). Also schauen wir mal nach (spieletheoretisch): Hat die
USA schon einmal einen Angriffskrieg wegen Ressourcenerbeutung
gemacht? Haben sie schon einmal Länder destabilisiert oder durch
eine Putsch einen Regimechange hervorgerufen? Geben die pragmatischen
US-Amerikaner 700 Milliarden Dollar jedes Jahr fürs Militär aus,
damit sie es dann nicht nutzen – oder müssen die jedes Jahr
zumindest 700 Milliarden wieder reinspielen? Wenn die USA in Polen
und Rumänien (und, wie von den Russen befürchtet bald auch in der
Ukraine) Raketensystem aufbauen, die angeblich gegen die Bedrohung
aus dem Iran gedacht sind, stimmt das auch wirklich? Wenn diese
Raketensysteme wirklich nur defensiven Charakter haben warum kündigen
die USA dann einseitig den Mittelstreckenraketenvertrag INF und
verhandeln nicht einmal über ein Moratorium mit den Russen? Warum
werden dann die Raketenbasen in Rumänien und Polen für die neuen
atomaren Mittelstreckenraketen tragfähig gemacht? Ist Putin wirklich
ein durchgeknallter Hosenscheißer weil Atomraketen der USA in 7 bis
15 Minuten in Moskau einschlagen können (und in St. Petersburg in
einem Wimpernschlag)? Warum fragt Putin:“ Warum denkt der Westen
wir sind Vollkoffer?“? Warum bekommt man das Gefühl, die einzigen
Vollkoffer sind die Europäer, die permanent Kriege für die
Vorherrschaft der USA (Dollar) führen und sich zur Not auch noch das
eigene Bein weghacken – besonders die Deutschen? Sind die Deutschen
wirklich so bescheuert oder einfach nur besetzt?
Ihr Modell hatte nur ein kleines
Manko: die letzten zwei Runden, die an die Russen gingen waren immer
damit verbunden, dass sie nicht nach den Regeln des Westens spielten
(Krim, Syrien) Wahrscheinlich gehen noch ein paar Runden an die
Russen (Venezuela, Guatemala) da sich die westlichen Eliten feiern,
weil sie die ausgestreckte Hand der Russen nach der Wende entgegen
aller Versprechen ausgeschalgen haben und die Russen jetzt zum
eigenen Schaden Richtung China treiben. Den einzigen Irrsinn sehe ich
im Westen, weil ich speziell in Europa hier überhaupt keinerlei
Gewinnchancen sehe – eher ein Lose – lose und weil sich die
Europäer noch in Selbstzerfleischung zu übertreffen suchen. Allen
voran die Deutschen, die hier schon einige Übung über die letzten
Jahre aufgebaut haben. Was wollen die Europäer? Spielen die
überhaupt noch mit? Oder geht es nur noch um die Ausbeutung der
letzten verbliebenen Assets für ausländische Eliten, zu denen sich
unsere Führer dann so gerne im Ausgedinge gesellen (oder gar immer
schon Teil dieser Spiel-Systeme waren)
Die Reaktion vieler im Westen ist
derart irrational, was wahrscheinlich auf die jahrzehntelange
Selbstwahrnehmungspropaganda des Westens zurückzuführen ist. Wer
nur in einfachen Chancen denkt (Gut/Böse) und sich permanent in
seiner Wahrnehmung manipulieren lässt, darf sich nicht wundern wenn
er beim Pokern mit den Großen oder den ins Eck gedrängten sein
ganzes Geld und noch die Hosen dazu verliert.
Ihr Modell hatte nur einen Fehler:
Sie haben die russische Position falsch eingeschätzt – die gehen
all in! Weil die haben aus dem Schicksal der Indianer in den USA
gelernt und nichts zu verlieren.
DI Mathias Gruböck,
Analyst Torrox, 01.03.2022