07 März 2014

Strategischer Sauhaufen

Von: Mathew Koeburg <koeburg@gmail.com>Betreff: Strategischer Sauhaufen  
Datum: 07. März 2014 07:28:43 MEZ 
An:  

Wenn man sich in einen Konflikt begibt, sich daran beteiligt ihn heraufzubeschwören oder ihn gar anzettelt, dann sollte man VORHER genau wissen was man dabei gewinnen will und was man nicht verlieren will. Das hat man früher bei diversen Pausenhofrangeleien gelernt, wie man seine Win-Loose-Abwägungen optimiert. Da waren auch immer eine Menge an Umstehenden und Wortspendenabgebenden herumgestanden, die dann, wenn es ernst wurde, sich schneller vom Acker gemacht hatten, als Enterprise-Scotty >Energie< sagen konnte. Die Gaffer und Sportkommentatoren sind eben nicht die Selben die im Ring stehen, aber sie lieben es bei diversen Wickeln zuzuschauen und anzufeuern.

Worum geht es jetzt genau bei der derart herbeikommentierten Krim-Krise? Was genau wollten die westlichen Staaten bei den Revolutionären in Kiew unterstützen? Massive ukrainisch-nationalistische Bestrebungen, die sich wahrscheinlich durch eine jahrzehntelange Unterdrückung der ukrainischen Minderheit durch die russische Sowjetmehrheit aufgestaut haben und sich an der Hinneigung des abgesetzten Präsidenten Janukowitsch in Richtung Russland entfesselt haben? Wollte die EU durch die Unterstützung der Abschaffung des Russischen als Amtssprache in den mehrheitlich von russischsprechenden Menschen besiedelten Gebieten (ungefähr die Hälfte der Ukraine – inklusive einer massiven Vermischung der Volksgruppen) die Einheit der Ukraine wahren? Will die EU wirklich Privatpersonen wirtschaftlich sanktionieren, weil sie einen Konflikt mit deren Staat hat? Will die EU wirklich einen Wirtschaftskrieg gegen ihren wichtigsten Handelspartner im Osten führen, der noch dazu wahrscheinlich den einzig nennenswerten Wachstumsmotor darstellen könnte? Müssen die Europäer sich dauernd von den Amis in die aberwitzigsten geopolitischen Abenteuer hetzen lassen, nur weil deren nichterneuerbare Primärenergielobby die monopolistische Weltmarktherrschaft anstrebt? In Venezuela, dem Iran und in Russland sind sie rausgeflogen. Da kommt dann der Erweiterungsansatz der Monroe-Doktrin zum Ansatz. Die ganze Welt geht die Amis was an und niemand anderer darf sich berufen fühlen eigene politische und wirtschaftliche Interessen zu vertreten. Das alleine wird schon als diktatorischer Affront per se angesehen und harrt einer unmittelbaren wirtschaftlichen Bestrafung. Zumindest schaut die amerikanische Öllobby darauf, dass sie ihre Profits und Weltmarktanteile hochhalten. Aber was haben die Europäer dabei zu gewinnen?

Was nationalistische Ansätze bewirken können haben wir vor nicht einmal 20 Jahren am Balkan gesehen. Machen wir das Gleiche noch einmal – nur statt der Serben nehmen wir diesmal gleich die Russen als Feindbild obwohl die ukrainischen Volksstürmer die nationalistische Karte gezogen haben? 25 Milliarden Euro soll uns das wert sein? Die Tschechen, Polen, Rumänen, Bulgaren und Balten haben auch ihre Vergangenheitsbewältigung mit dem Stalinismus und werden kaum gewillt sein auch noch für die der Ukraine aufzukommen. Überhaupt der eingestimmte Ansatz, dass in Russland das demokratiepolitische Glas nicht einmal halb voll ist und Putin eine Mischung aus einem stalinistischen Zaren und einem heimlichen Oligarchenoberkapo sei, ist wahrscheinlich eher ein Zugang um Russland in die Reich-des-Bösen-Ecke mit Marschrichtung China zurückzudrängen anstatt ihm die Hand zu reichen um mit ihm als europäischen Partner Synergien zu heben. Es ist fraglich ob sich Europa das leisten kann und soll oder sich ein ordentliches Stück weit von der US-amerikanischen (wirtschafts)politischen Bevormundung nicht doch befreien sollte? Sozusagen die europäischen Monroe-Doktrin, so auf, der alte Kontinent mit neuen Ansätzen.

Es wäre schön wenn EU-Politiker ihre Spesen-Sicherheits-Pampers-Komfort-Zone einmal zeitweilig verlassen könnten und sich ihren Herausforderungen so stellen würden, als wären sie der Präsident von Russland. In der Realität wäre die Halbwertszeit von 97,5% dieser Volksvertreter am Lobbyistengabentisch unter einem Monat. Es gibt härtere Politikerjobs als in Brüssel hysterisch dem transatlantischen Mainstream nachzuschnattern. Weil in der Realpolitik zählen nur Umsetzungsvermögen, Entscheidungsstärke und Zielsetzungstreue. Und am besten noch wenn diese Ziele auch den Interessen derer entsprechen, die man angeblich so demokratisch vertritt. Die persönlichen Komfortwerte steigen natürlich wenn man den Vorgaben der Meinungsdruckmacher folgt. Herdenpolitik mit Partikularinteressen schafft es nicht einmal vor einer Europawahl ein handlungsfähiges Zeichen für das murrende Wahlvolk zu setzen – beim Datenschutzgesetz tut sich nichts, aber Gen-Mais müssen wir freigeben und in der Ukraine lassen wir uns von allen und jedem treiben – die EU-Politiker wissen wie man Nationalismus, Rechtspopulismus und Separatismus kurz vor der Wahl so richtig boostet. Bei der Unmenge an Solidaritätskundgebungen für die Griechen kann man gespannt auf den Aufschrei sein, wenn die Europäer die Rechnung für das Ukrainedesaster präsentiert bekommen werden. Kann schon sein, dass Obama eine „lame duck" Präsidentschaft nach der anderen abliefert, jedoch die angeblichen Europapolitiker wirken seit Jahren eher wie lahme Lemminge, die es nicht einmal fertigbringen sich ordentlich ohne die Führung von Lobbyisten von der Klippe zu stürzen.

DI Mathias Gruböck                                                                                            Petitenget 05.03.2014
Unternehmens- und Organisationsberater

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen