05 September 2015

Ich kann's nicht mehr hören...


Ich kann es nicht mehr hören oder lesen, diese dauernden Selbstdarsteller in Facebook oder anderen sozialen Medien – jeder der nicht Franz von Asisi-like alles versteht und alles gutiert was andere machen wird als Nazi bezeichnet. Menschen, die noch nie auch nur die kleinste Form von Mangel erleben mussten oder die, wenn sie irgendwer schräg angeht auf FB (vollkommen virtuell) nach einem Kriseninterventionsteam oder dem Staatsanwalt rufen, beschwören eine Nazi-Inflation herauf, die ihresgleichen sucht. Das ist schon etwas fragwürdig für alle Menschen die wirklich unter dem Nationalsozialismus gelitten haben und auch für alle die damals umgekommen sind.

Wenn man noch nie Mangel gespürt hat, ist es leicht mit allen zu teilen. Es gibt aber Menschen, die nicht so viel Vertrauen in die Politik, die Zukunft, die Wirtschaft oder auch nur sich selbst haben. Es gibt auch noch Menschen, die erfahren mussten, dass Ressourcen begrenzt sind und wenn es nichts mehr gibt man auch nichts mehr kaufen kann (Großelterngeneration oder ehemalige Bürger des Comecon). Auch gibt es immer mehr Menschen, die die Erfahrung machen mussten wie wenig man mit anderen teilen kann, wenn man keinen Arbeitsplatz mehr hat, wie abhängig der Überfluss von der Teilnahme am Wirtschaftssystem ist. Manche habe trotz langjähriger ehrlicher Arbeit nichts, was sie mit anderen teilen könnten.

Manchmal sind das ganz normale Menschen. Sie gehören nicht einmal einer förderungswürdigen Minderheit an. Sind keine unterdrückten Frauen, ausgegrenzte Schwule, zuagreiste Migranten oder Behinderte, denen die Gesellschaft ihr Augenmerk schenkt und sie unterstützt. Einfach Normalos. Das können durchaus viele sein, jedoch sind sie nicht als Gruppe erkennbar oder bestimmbar, da sie vollkommen normal sind. Man sieht sie nicht. Trotzdem wollen die auch gleichberechtigt in diesem Staate leben. Ist auch nicht so, dass der Staat bisher dieser unsichtbaren Menge an Normalos nicht schon einiges aufgetragen hat zu teilen. Findet eigentlich auch jeder ganz normal, dass wenn er ein normales Leben führt er andere auch leben lassen muss. Wenn es allen halbwegs gut geht, dann gibt’s keinen Streit und keinen Konflikt. Naja, der Staat beschäftigt eben dann eine Unmenge an Beamten, damit diese hauptsächlich die Normalos dabei kontrollieren, wie sie ein normales Leben leben. Rechtsstaat nennen das die Beamten. Jeder Normalo kann den einen oder anderen Schwank erzählen, wo er mit Funtastaasia in Berührung gekommen ist. Manche, die wirklich an den Rechtsstaat glaubten, haben dann noch ganz andere Geschichten auf Lager. Die zeugen von einem gar nicht so gewaltfreien und bürgerbestimmten Staat. Zum Beispiel wird man heutzutage schon mit einem Straftäter gleichgesetzt wenn man sich Dinge im Internet herunterlädt.

Wie gesagt, plötzlich gilt das alles nichts mehr, da andere Menschen vor deren Staats- und Kriegsgewalten fliehen müssen. Diese Notsituation in entlegenen Gebieten der Welt und am südlichen Rand des Mittelmeeres gestattet es nun diesen Flüchtlingen sich über jeden Ordnungs- oder Strukturierungsversuch hinwegzusetzen. Grenzübertritte, Bürgerrechte, Transportmittel, Niederlassungsfreiheit – alles ist ihnen erlaubt und es werden noch mehr Bedürfnisse dieser neuen Mitbürger zu stillen sein. Das Recht auf Wohnung, auf Arbeit, auf Schulbildung, auf Religionsfreiheit, auf Altersversorgung und viele andere der Bürgerrechte werden noch umzusetzen sein.

Speziell bei den Themen Arbeit und Wohnraum sind aber bereits jetzt für eine Vielzahl von Menschen in diesem Land die Ressourcen knapp. Menschen die Angst um ihre Lebensumstände haben werden relativ schnell den Wunsch äußern, den Zuzug von tausenden Menschen, höchstwahrscheinlich zu 100% in die Ballungsgebiete, zu unterbinden oder zumindest nicht weiter ansteigen zu lassen. Vielleicht haben diese Menschen nicht mit der Selbstgefälligkeit jener aufzuwarten, die ihre moralische Vorzüglichkeit und ihre unantastbar hohen ethischen Levels im Facebook posten. Viele machen es sicherlich auch einfach aus Überzeugung. Nur viele Ansessige, deren Problemstellungen und Lebensaufgaben niemanden medienwirksam interessieren, haben vielleicht die Überzeugung, dass es für ihr Leben weitere Probleme bedeutet, wenn jedes Jahr die Größenordnung der 5. oder 6. größten österreichischen Stadt an Neubürgern einwandert. Ist natürlich alles ganz falsch – Probleme bereitet es nur beim Medizinstudium, wenn zu viele deutsche EU-Bürger nach Österreich studieren kommen. Diese normalen Wachstums-Ressourcen-Mehrverbrauchs-Verlierer lehnen daher Zuwanderer tendenziell eher ab. Ablehnung bei einem „Gast“ (?) ist nicht gastfreundlich – daher wird es von denjenigen die alle aufnehmen lassen wollen als feindlich empfunden. Also Fremdenfeindlich, da die Neuankömmlinge ja Fremde sind. Im nächsten Schritt wird die Kette nicht-gastfreundlich → fremdenfeindlich mit rassistisch gleichgesetzt. (Formal schwierig, da diese „Grenzendichthalter“ ja die Fremden gar nicht ins Land lassen wollen – was logisch stringent von diesem Ansatz her nicht Rassismus sein kann, da ein Diskriminierung und Ausgrenzung von Menschen die gar nicht Teil der Gesellschaft sind formal nicht möglich ist – erst wenn sie zugezogen sind, können sie als Minderheit rassistische Anfeindungen unterzogen werden – ist aber Haarspalterei).

Faktum ist, dass in einer Demokratie auch die Meinung gelten darf, dass man es nicht will, dass unreglementierter und unkontrollierter Zuzug von neuen Mitbürgern, für die man sofort auch die Solidaritätspflicht des Teilens zu tragen hat, stattfindet. Über die eine oder andere Ausdrucksweise kann man sich sicherlich alterieren, jedoch gilt es hier eindeutig das Recht auf Meinungsfreiheit zu verteidigen. Die Killerphrasen die hier bei „unerwünschten“ Meinungsäußerungen verwendet werden erfüllen zum Teil ebenfalls schon den Ansatz der Verhetzung in sich.

Sofort als Nazi, Hooligan oder Rassist tituliert zu werden und in der Folge mit Postings, die nahelegen, dass man das Wohngebiet von diesen eben selbstdefinierten Nazis befreit um 1000 Asylwerber anzusiedeln, stellt sich durchaus grenzwertig dar. Ein politisches Verständnis, dass seine Freude über das Ableben von verunfallten politischen Kontrahenten ausdrückt, rundet eine Aushöhlung des Gedanken des politischen Wettbewerbs zum nackten Wett-Kampf ab. Der immer salonfähigere Wunsch der Vernichtung des Mitbewerbs mit allen Mitteln um die Gunst der Wahlbevölkerung für sich zu erobern, indem man die Wahlfreiheit einzuschränken versucht, entspringt auch nicht der Werthaltung, die so manche vorgeben damit zu verteidigen. Etwas mehr Mut zur Größe und Stärke tut Not.

Es hilft einfach nichts in einer Demokratie, wenn die Mehrheit anderer Meinung ist, die Mehrheit als dumm / Nazis / rechtes Pack und so weiter zu desauvrieren. Weil jemand einen provokanten Schwachsinn jetzt statt auf Wände ins Facebook schmiert muss man sich nicht gleich vor dem Untergang des Abendlandes fürchten. Außer man hat wirklich Angst, dass die Menschen so blöd sind, wie sie von den Werbefritzen und den Brüssel-Lobbys gehalten werden. Dann hilft aber auch kein noch so heftiges Posten dagegen, da es an den aufnahmefähigen Rezipienten mangelt. Und zu erst Massenpanik zu stiften um dann auf die Schwarmintelligenz zu setzen ist auch kein tolles Konzept. Das ist die wahre Lösung der Integrationsfrage – alle ziehen nach Deutschland :-) Die Integration der EU beginnt in Deutschland – jeder der etwas dagegen hat ist ein Nazi! So einfach ist das. Und schon wieder ein Problem gelöst. Und hört endlich auf die Opfer des echten Nazi-Regimes zu schänden, indem jetzt jeder der ein paar zusammenhängende provokante Sätze in eine Tastatur hämmern kann als Nazi bezeichnet wird. Ein bisschen weniger Hysterie kann man sich nach getaner Gutmenschen-Arbeit schon auch walten lassen. Sonst müsste man ja fast annehmen, dass die Gutmenschen Angst vor den paar Krakeelern haben. Gutmenschen machen per Definition alles richtig und müsse daher keine Angst haben. Außer man hat Angst davor, dass eine echte Demokratie sich wirklich mit wechselnden Mehrheiten beschäftigt. Das soll sogar das Erfolgsgeheimnis des demokratischen Ansatzes gewesen sein.

DI Mathias Gruböck                                                                                        Baden, 05.09.2015
Unternehmens- und Organisationsberater

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