Was ist das Zeichen, das uns die Flüchtlingsthematik deuten will?
Warum ist das im Prinzip anscheinend so unlösbar? Warum müssen da
Werte, Gesetze, internationale Vereinbarungen und sonstiges
herangezogen werden um ein allgemeines Unwohlsein oder Störgefühl
in der Bevölkerung zu bekämpfen?
Wenn man etwas genauer hinschaut, dann kommen die Störgefühle
offenbar nicht von alleine vom Flüchtlingsthema sondern es tut sich
ein gesamter Strauß von Themen auf, die irgendwie nicht mehr so ganz
reibungslos „funktionieren“. Es sind allesamt Themen die mit der
Gemeinschaft, der Gruppe, dem menschlichen Zusammenleben in Gruppen
zu tun haben und hier mit der zunehmenden Verstädterung des
Menschen.
Die Gruppenbildung, eigentlich die Kleingruppenbildung des Menschen
funktioniert seit Jahrmillionen auf die gleiche Art, dass die
Interaktion mit anderen Gruppenmitgliedern jedem Einzelnen in der
Gruppe in Summe über alle Werte einen höheren Gewinn bringt als er
als Einzelner dauerhaft erzielen könnte. Auch sind alle
Verhaltensweisen und Eigenschaften dahingehend prädestiniert sich in
Kleingruppen aufzuhalten und darin zu existieren. Ein sehr wichtiges
Kriterium dieser „archaischen“ Kleingruppen ist die qualitative
Bindung der einzelnen Mitglieder, die eine einfache Austauschbarkeit
sowohl des Individuums und damit auch der Gruppe nicht trivial
gestalten lassen.
Im Zuge der Verstädterung und auch der profitorientierten
Substitution von Gruppenfunktionen wurden sehr viele dieser
ursprünglichen „Mehrwerte“ einer Kleingruppe von wirtschafts-
oder verwaltungsorientierten Organisationen übernommen, die
Teilfunktionen in einem institutionellen oder industriellen Maßstab
bereitstellen. Diese Institutionen und Organisationen treten damit an
die Stelle der ursprünglichen Gruppe, dies aber immer nur für
spezielle Bereiche und lösen diese darin ab. An einem spezifischen
Punkt kommt die Entscheidung, die „archaischen“ autonomen und
nachhaltigen Gruppen aufzugeben und sich in die individuelle
Abhängigkeit von diesen Großsystemen zu begeben. Dies erfolgt unter
dem impliziten Versprechen: „WIR geben DIR alles was DU brauchst!“.
Dieses Versprechen gibt auch schon erste Indizien dafür, dass diese
Systeme und Organisationen für ihr gedeihliches Wachstum immer mehr
Verbraucher benötigen. Und hier zeigt sich auch schon der erste
große Unterschied zu den Kleingruppen – eine Kleingruppe ist
abhängig von ihren spezifischen Gruppenmitgliedern, die Systeme und
Organisationen benötigen eine Menge an Verbrauchern aber das
Individuum ist ihnen unbekannt. Dahingehend sind jetzt auch Appelle
an die „Solidarität“ der Menschen in der Flüchtlingsfrage eher
eine Verstärkung des Problems. Solidarität ist ein Wert für den
Zusammenhalt und die Leistungsbereitschaft eines Individuums mit der
Gemeinschaft. Vorraussetzung für Solidarität ist, dass die
Gemeinschaft dem Individuum klar zeigt, dass es sie ebenfalls den
Zusammenhalt mit dem Individuum sicherstellt und dafür auch
leistungsbereit ist. Eine Gemeinschaft, die diese Versprechen aber
jedem gibt, zeigt dem Individuum, dass es ihr nicht um die Person an
sich geht sondern eben wiederum nur um Menschen als statistische
Größe.
Die Teilnahme der Menschen an den diversen Wirtschafts- und
Sozialsystemen hängt zunehmend vom individuellen Gewinn des
jeweiligen Einzelnen ab. Dieser Gewinn hängt aber auch von
nichtmonetären Parametern ab. Eine Gesellschaft die sich um das
Individuum an sich kümmert wird jede Menge an Individuen nicht
erreichen. Diese werden sich kaum bis gar nicht von irgendwelchen
„Werten“ von Eliten, die nach wie vor die Systeme zu ihren Gunsten
managen können, davon überzeugen lassen, dass diese ihnen ebenfalls
nutzen würden. Eine rein monetäre Betrachtungsweise von Solidarität
oder Gemeinschaft als wirtschaftliches und ökonomisches Problem wird
eine Entsolidarisierung von Menschen durch Entidentifikation weiter
vorantreiben. Die alleinige Verteufelung von Versuchen sich in
Gruppen zusammenzufinden, die dem Individuum ein Gefühl der
persönlichen Identifikation und Zusammengehörigkeit geben, löst das
Problem der anonymen Singularität von Menschen in den Großsystemen
nicht. Vielmehr kommt es zunehmend zu Glaubenskriegen zwischen den
Anhängern des abhängigen Individualismus, der sich selbst als Krone
der Gesellschafts- und Sozialentwicklung inszeniert und den analogen
Retrogemeinschaftswesen Vertretern. In diesem Glaubenskrieg stirbt
die Wahrheit wie immer zu erst. Hier gibt es die breitflächigen
Narrative von den Militärs, die Frieden und Freiheit bringen, von
Investoren, die Wohlstand und Glückseligkeit unter die Menschen
bringen wollten und über Händler, die nicht auf Profitsteigerung
aus seien. Als Zwickmühlenschreckgespenster werden dann entweder der
Antichrist-Terrorist mit dem Triefauge oder alle vergasende
Nazihorden benutzt um die Leute einfach dazu zu bringen weiter zu
machen. Vorwärts ohne Ziel, weil nur von Ängsten getrieben ist
vielleicht nicht die ideale Politik, da vorne durchaus auch der
Abgrund auf die dahintrabende Herde warten kann. Selbstfahrende Autos
als ultimative Symbolik. Das System lenkt von ganz alleine. Freie
Fahrt für freie Bürger nur solange sie Ziele und Parteien aus dem
vorgegeben Werteraum auswählen. Alle fünf bis sechs Jahre
interessiert das System plötzlich das Individuum. Davor und danach
gibt es Gremien, Experten und Kommissionen, die ganz genau wissen was
die Bürger-Menschen wirklich wollen. Vor allem immer mehr Gesetze,
die das Zusammenleben zwischen dem System und den Bürgern regeln.
Systemkontrolle, sowohl im Sinne der Steuerung als auch der
effektiven Kontroll-(Macht) ist keine Ansporn zur Solidarität. Der
Terminus der „Bürgerbeteiligung“ definiert das sehr schön.
Klingt als ob aus einem absolutgesetzten System heraus Randgruppen
Mitspracherechte eingeräumt werden sollen. „L'état ce sont nous!“
hört man die „Sonnengott“-Eliten nicht sagen. Außer Herrn
Trump, der spricht es einfach aus. Für diese Eliten (kann man ganz
locker sagen, ohne, dass irgendwer stutzt) ist Solidarität nur ein
anderer Ausdruck für Leistungen die das Individuum für ihre Profite
und Wachstumsraten erbringen soll. Solidarität im Sinne eines
Zusammenschlusses zu Interessensgemeinschaften ist damit nicht
gemeint. Das stellt recht schnell irgendeinen Tatbestand dar.
Aufruhr, Populismus, Sozialismus, Radikalismus, Idealismus,
Nationalismus, Terrorismus, Rassismus – irgendwie wird man die
Interessenlagen außerhalb der kontrollierten Herde schon bezeichnen
können. Damit greifen dann die Repressionsmaßnahmen mit denen sich
das System gegen gesellschaftliche Strömungen und
Interessenbildungen wehrt. Die Ideologie, dass die Menschen nur für
die Wirtschaft (und da vor allem nur entweder als Verbraucher oder
Lohnsklaven) da seien hat uns ein nicht enden wollendes Wachstum an
Verbräuchen gebracht. Viele leben auch schon nur noch von den
Spekulationen auf diese Verbräuche und meinen, dass weitentfernte
Lohnsklaven doch dankbar seien sollten die Dinge zu produzieren, die
dann auf Grund von kapitalistischen Grundgesetzmäigkeiten immer
wertloser werden müssen. Eine zentrale Frage wurde im
österreichischen BP-Wahlkampf gestellt: Was sind unsere Werte? Alle
reden davon – keiner kennt sie. Herr BPVdB versuchte sich irgendwie
mit dem Ansatz, Wert ist alles das wofür es einen Investor gibt. Das
stellt zwar die politische Realität dar, war aber als Vision etwas
zu real existierender Kapitalismus, der vielleicht bald draufkommt,
dass vieles wertlos ist. Die Gefahr von Rechts ist ein lindes
Mailüftchen gegen die Gefahr durch eine westliche Werteblase. Was
Geld bringt ist was wert. Wenn's keine Geld bringt ist es nichts
wert. Schlag nach bei den Geburtenraten. Der Mensch an sich ist nur
Kostenfaktor. Und genausogut wie jeder andere Mensch auf dieser Welt. Nur österreichische Männer haben eine gesetzlich verankerte Wehrpflicht und keinen Anspruch auf Sorgerecht bei ihren Kindern. Aber sonst sind sie von staatswegen schon den Flüchtlingen gleichgestellt.
DI Mathias Gruböck Baden, 24.05.2016
Unternehmens- und Organisationsberater
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