24 Mai 2016

Der Mensch an sich


Was ist das Zeichen, das uns die Flüchtlingsthematik deuten will? Warum ist das im Prinzip anscheinend so unlösbar? Warum müssen da Werte, Gesetze, internationale Vereinbarungen und sonstiges herangezogen werden um ein allgemeines Unwohlsein oder Störgefühl in der Bevölkerung zu bekämpfen?

Wenn man etwas genauer hinschaut, dann kommen die Störgefühle offenbar nicht von alleine vom Flüchtlingsthema sondern es tut sich ein gesamter Strauß von Themen auf, die irgendwie nicht mehr so ganz reibungslos „funktionieren“. Es sind allesamt Themen die mit der Gemeinschaft, der Gruppe, dem menschlichen Zusammenleben in Gruppen zu tun haben und hier mit der zunehmenden Verstädterung des Menschen.

Die Gruppenbildung, eigentlich die Kleingruppenbildung des Menschen funktioniert seit Jahrmillionen auf die gleiche Art, dass die Interaktion mit anderen Gruppenmitgliedern jedem Einzelnen in der Gruppe in Summe über alle Werte einen höheren Gewinn bringt als er als Einzelner dauerhaft erzielen könnte. Auch sind alle Verhaltensweisen und Eigenschaften dahingehend prädestiniert sich in Kleingruppen aufzuhalten und darin zu existieren. Ein sehr wichtiges Kriterium dieser „archaischen“ Kleingruppen ist die qualitative Bindung der einzelnen Mitglieder, die eine einfache Austauschbarkeit sowohl des Individuums und damit auch der Gruppe nicht trivial gestalten lassen.

Im Zuge der Verstädterung und auch der profitorientierten Substitution von Gruppenfunktionen wurden sehr viele dieser ursprünglichen „Mehrwerte“ einer Kleingruppe von wirtschafts- oder verwaltungsorientierten Organisationen übernommen, die Teilfunktionen in einem institutionellen oder industriellen Maßstab bereitstellen. Diese Institutionen und Organisationen treten damit an die Stelle der ursprünglichen Gruppe, dies aber immer nur für spezielle Bereiche und lösen diese darin ab. An einem spezifischen Punkt kommt die Entscheidung, die „archaischen“ autonomen und nachhaltigen Gruppen aufzugeben und sich in die individuelle Abhängigkeit von diesen Großsystemen zu begeben. Dies erfolgt unter dem impliziten Versprechen: „WIR geben DIR alles was DU brauchst!“. Dieses Versprechen gibt auch schon erste Indizien dafür, dass diese Systeme und Organisationen für ihr gedeihliches Wachstum immer mehr Verbraucher benötigen. Und hier zeigt sich auch schon der erste große Unterschied zu den Kleingruppen – eine Kleingruppe ist abhängig von ihren spezifischen Gruppenmitgliedern, die Systeme und Organisationen benötigen eine Menge an Verbrauchern aber das Individuum ist ihnen unbekannt. Dahingehend sind jetzt auch Appelle an die „Solidarität“ der Menschen in der Flüchtlingsfrage eher eine Verstärkung des Problems. Solidarität ist ein Wert für den Zusammenhalt und die Leistungsbereitschaft eines Individuums mit der Gemeinschaft. Vorraussetzung für Solidarität ist, dass die Gemeinschaft dem Individuum klar zeigt, dass es sie ebenfalls den Zusammenhalt mit dem Individuum sicherstellt und dafür auch leistungsbereit ist. Eine Gemeinschaft, die diese Versprechen aber jedem gibt, zeigt dem Individuum, dass es ihr nicht um die Person an sich geht sondern eben wiederum nur um Menschen als statistische Größe.

Die Teilnahme der Menschen an den diversen Wirtschafts- und Sozialsystemen hängt zunehmend vom individuellen Gewinn des jeweiligen Einzelnen ab. Dieser Gewinn hängt aber auch von nichtmonetären Parametern ab. Eine Gesellschaft die sich um das Individuum an sich kümmert wird jede Menge an Individuen nicht erreichen. Diese werden sich kaum bis gar nicht von irgendwelchen „Werten“ von Eliten, die nach wie vor die Systeme zu ihren Gunsten managen können, davon überzeugen lassen, dass diese ihnen ebenfalls nutzen würden. Eine rein monetäre Betrachtungsweise von Solidarität oder Gemeinschaft als wirtschaftliches und ökonomisches Problem wird eine Entsolidarisierung von Menschen durch Entidentifikation weiter vorantreiben. Die alleinige Verteufelung von Versuchen sich in Gruppen zusammenzufinden, die dem Individuum ein Gefühl der persönlichen Identifikation und Zusammengehörigkeit geben, löst das Problem der anonymen Singularität von Menschen in den Großsystemen nicht. Vielmehr kommt es zunehmend zu Glaubenskriegen zwischen den Anhängern des abhängigen Individualismus, der sich selbst als Krone der Gesellschafts- und Sozialentwicklung inszeniert und den analogen Retrogemeinschaftswesen Vertretern. In diesem Glaubenskrieg stirbt die Wahrheit wie immer zu erst. Hier gibt es die breitflächigen Narrative von den Militärs, die Frieden und Freiheit bringen, von Investoren, die Wohlstand und Glückseligkeit unter die Menschen bringen wollten und über Händler, die nicht auf Profitsteigerung aus seien. Als Zwickmühlenschreckgespenster werden dann entweder der Antichrist-Terrorist mit dem Triefauge oder alle vergasende Nazihorden benutzt um die Leute einfach dazu zu bringen weiter zu machen. Vorwärts ohne Ziel, weil nur von Ängsten getrieben ist vielleicht nicht die ideale Politik, da vorne durchaus auch der Abgrund auf die dahintrabende Herde warten kann. Selbstfahrende Autos als ultimative Symbolik. Das System lenkt von ganz alleine. Freie Fahrt für freie Bürger nur solange sie Ziele und Parteien aus dem vorgegeben Werteraum auswählen. Alle fünf bis sechs Jahre interessiert das System plötzlich das Individuum. Davor und danach gibt es Gremien, Experten und Kommissionen, die ganz genau wissen was die Bürger-Menschen wirklich wollen. Vor allem immer mehr Gesetze, die das Zusammenleben zwischen dem System und den Bürgern regeln. Systemkontrolle, sowohl im Sinne der Steuerung als auch der effektiven Kontroll-(Macht) ist keine Ansporn zur Solidarität. Der Terminus der „Bürgerbeteiligung“ definiert das sehr schön. Klingt als ob aus einem absolutgesetzten System heraus Randgruppen Mitspracherechte eingeräumt werden sollen. „L'état ce sont nous!“ hört man die „Sonnengott“-Eliten nicht sagen. Außer Herrn Trump, der spricht es einfach aus. Für diese Eliten (kann man ganz locker sagen, ohne, dass irgendwer stutzt) ist Solidarität nur ein anderer Ausdruck für Leistungen die das Individuum für ihre Profite und Wachstumsraten erbringen soll. Solidarität im Sinne eines Zusammenschlusses zu Interessensgemeinschaften ist damit nicht gemeint. Das stellt recht schnell irgendeinen Tatbestand dar. Aufruhr, Populismus, Sozialismus, Radikalismus, Idealismus, Nationalismus, Terrorismus, Rassismus – irgendwie wird man die Interessenlagen außerhalb der kontrollierten Herde schon bezeichnen können. Damit greifen dann die Repressionsmaßnahmen mit denen sich das System gegen gesellschaftliche Strömungen und Interessenbildungen wehrt. Die Ideologie, dass die Menschen nur für die Wirtschaft (und da vor allem nur entweder als Verbraucher oder Lohnsklaven) da seien hat uns ein nicht enden wollendes Wachstum an Verbräuchen gebracht. Viele leben auch schon nur noch von den Spekulationen auf diese Verbräuche und meinen, dass weitentfernte Lohnsklaven doch dankbar seien sollten die Dinge zu produzieren, die dann auf Grund von kapitalistischen Grundgesetzmäigkeiten immer wertloser werden müssen. Eine zentrale Frage wurde im österreichischen BP-Wahlkampf gestellt: Was sind unsere Werte? Alle reden davon – keiner kennt sie. Herr BPVdB versuchte sich irgendwie mit dem Ansatz, Wert ist alles das wofür es einen Investor gibt. Das stellt zwar die politische Realität dar, war aber als Vision etwas zu real existierender Kapitalismus, der vielleicht bald draufkommt, dass vieles wertlos ist. Die Gefahr von Rechts ist ein lindes Mailüftchen gegen die Gefahr durch eine westliche Werteblase. Was Geld bringt ist was wert. Wenn's keine Geld bringt ist es nichts wert. Schlag nach bei den Geburtenraten. Der Mensch an sich ist nur Kostenfaktor. Und genausogut wie jeder andere Mensch auf dieser Welt. Nur österreichische Männer haben eine gesetzlich verankerte Wehrpflicht und keinen Anspruch auf Sorgerecht bei ihren Kindern. Aber sonst sind sie von staatswegen schon den Flüchtlingen gleichgestellt.

DI Mathias Gruböck                                                                                          Baden, 24.05.2016
Unternehmens- und Organisationsberater

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